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... dieser Blog erzählt von Schwangerschaft, Geburt und der ersten Zeit mit dem Baby. Er berichtet von Erwartungen und Ängsten, Freude und Schmerz. Er möchte zum Nachdenken, Schmunzeln, Entspannen und Hinspüren anregen. Vielleicht kann er auch die eine oder andere Sehnsucht nach emotionaler Information stillen oder die Wartezeit aufs eigene Baby versüßen. Auf jeden Fall aber möchte er Gefühle und Gedanken weitergeben, Ängste nehmen und das ganze Glück ausdrücken, welches eine Mutter beim Schwangersein, Gebären und Stillen empfinden kann. Eine Geschichte, an der auch noch so viel Emanzipation nichts ändern kann. Zum Glück!

Mittwoch, 1. Februar 2012

Eines Nachts.... 5.5.1994

war es so weit. Ich hatte gerade noch Wäsche aufgehängt und war dabei die Chinchillas zu füttern, als ich etwas Nasses zwischen den Beinen spürte. Mein Herz fing tierisch an zu klopfen. Ich lief ins Bad, wo mein Mann auf die Tierchen aufpasste, und kriegte vor Aufregung kaum ein Wort raus. "Ich ... ehm... ich glaub mir ist die Fruchtblase geplatzt...!?!?"

Ich machte mich ab ins Schlafzimmer, um in irgendwelchen schlauen Büchern den weiteren Ablauf nachzulesen. Ab ins Krankenhaus, hiess es da. Während ich noch überlegte, was wir noch mitnehmen müssen, fing Thorsten die Chinchillas in Rekordzeit. Dann packte er auf mein Geheiß einiges zusammen und los gings. 
0.14 h - wir fuhren durch strömenden Regen. Ich zitterte am ganzen Körper. Vor Angst, Aufregung und Freude! Thorsten hielt meine Hand, während wir durch Giessen düsten. In meinem Kopf ging alles durcheinander. Was würde jetzt mit uns passieren, hatten wir genug Kraft, das durchzustehen? Ich legte die Hände auf meinen Bauch und fühlte Jasmin strampeln. Noch einmal dieses Gefühl geniessen! So ganz ehrlich gesagt, hatte ich mächtig Schiss vor all dem, was da jetzt kommen sollte.


Gegen 0.30 h waren wir am evangelischen Krankenhaus und noch immer regnete es. Thorsten fuhr kurzerhand zum Krankenwageneingang, wo er erst mal eine fahrbare Liege organisierte. Wir liessen Koffer und Tasche im Auto und ich liess mich durch die schummrigen Gänge des nächtlichen Krankenhauses fahren. Mit dem Aufzug in den ersten Stock, bis direkt vor die Kreisssaaltür. Noch immer war ich mächtig aufgeregt. Eine Frau mit kurzen dunkeln Haaren öffnete und stellte sich als diensthabende Hebamme Melanie Wiegand vor. Sie fragte uns ein paar wichtige Dinge, wie errechneter Geburtstermin, ob erstes Kind und wann der Blasensprung gewesen sei.
Dann musste ich mich in dem weniger schönen der beiden Kreisssäle aufs Kreissbett legen und es wurde ein CTG geschrieben. Eigentlich verspürte ich noch keine Wehen, aber das Gerät meinte, da wäre schon was. Die Hebamme und eine Ärztin untersuchten mich und stellten fest, dass die Fruchtblase nicht geplatzt sondern nur irgendwo gerissen war. Der Muttermund war erstaunlicherweise bereits 3-4 cm geöffnet, ohne dass ich eine Wehe gespürt hatte.


Dann erklärte uns die Hebamme, dass eigentlich gar keine Betten mehr frei seien auf Station und ob sie mich in die Frauenklinik oder ins St. Josefs-Krankenhaus verlegen sollten.
Da ich aber meine Geburtsvorbereitung wohlweislich im Evangelischen gemacht hatte, wollte ich auf jeden Fall dort entbinden. Das haben wir ihr dann auch nachdrücklich klar gemacht. Wenn alles gut wäre, würden wir eben gleich nach Hause gehen. Ambulante Entbindung also. Sollten irgendwelche Komplikationen auftreten, könnte ich ein Bett im Aufenthaltsraum haben. Na dann.

Während das CTG weiter meine Wehen aufzeichnete, die ich nicht spürte, holte Thorsten unsere Sachen aus dem Auto. Langsam wurde ich wieder ein bisschen ruhiger. Und mit der Ruhe spürte ich jetzt auch leichte Wehen, an denen ich die geübte Atemtechnik - durch die Nase ein und durch den Mund aus (wie innovativ) testen konnte. Thorsten und ich konnten uns zwischen den Wehen noch angeregt unterhalten. Die Hebamme und die Ärztin waren im anderen Kreisssaal zugange, wo eine Frau gerade mitten in der Endphase der Geburt steckte. Sie weinte und stöhnte und mir rutschte das Herz in die Hose. Jetzt packte mich doch ein wenig die Panik. Der Gedanke, in wenigen Stunden auch solche Schmerzen zu haben, war doch nicht so angenehm.  


Gegen 2 Uhr kam die Hebamme, untersuchte mich wieder und meinte: "Na, dann kriegen Sie heute Nacht Ihr Kind!" Das war so endgültig. Bis dahin hatte ich noch mit dem Gedanken gespielt, evtl noch mal nach Hause zu fahren. Aber es sollte jetzt wohl so weit sein.
"So, gehen Sie mal mit Ihrem Mann spazieren und seien Sie gegen halb vier wieder hier!" Ich hievte mich und meinen dicken Bauch von dem Kreissbett und wir gingen spazieren. Treppen runter und wieder hoch, Gänge entlang, in die Eingangshalle, in die Kapelle des Krankenhauses. Dort vor dem Kreuz kamen mir die ersten Tränchen. Nach ein paar Augenblicken der Stille gings mit den Wehen richtig los. Wir mussten zusehen, dass wir immer, wenn eine Wehe anfing, an einer Stelle waren, wo ich mich abstützen konnte. Also Stühle, Pfosten oder ähnliches. Thorsten massierte mir den schmerzenden Rücken. Zum Glück hat man zwischen den Wehen immer einige Zeit sich zu erholen. Um halb vier trafen wir pünktlich im Kreisssaal ein, wo die Hebamme mich wieder untersuchte, was übrigens schmerzhafter war als sämtliche Wehen. Der Muttermund hatte sich weiter geöffnet. Etwa 5-6 cm jetzt. "Wunderbar!" meinte die Hebamme und schaltete das CTG-Gerät wieder ein. Jetzt musste ich mit den Wehen im Liegen fertig werden. Thorsten saß neben mir auf einem Stuhl und nickte ab und zu ein wenig ein. Auch ich döste zwischen den Wehen vor mich hin. Die Herzfrequenz unseres Babys war über das CTG deutlich zu hören. Ein gleichmäßiges, ruhiges Pochen, was mir Kraft gab. 


So gegen viertel nach vier schaute die Hebamme herein, sah sich das CTG an und schickte uns wieder spazieren. "Bis viertel nach fünf!" Und tschüß! Wir liefen wieder auf und ab, kreuz und quer, mal nach draussen, wo es noch immer stockfinster und mächtig nass war. Ich war während der letzten Zeit doch ein wenig ins Schwitzen gekommen und es tat gut, den Regen im Gesicht zu spüren.  Trotz der stärker werdenden Schmerzen war eine wirklich gute Stimmung zwischen uns dreien. Ich genoss das gefühl, unser Kind noch im Bauch zu tragen. Wir redeten mit Jasmin, streichelten sie. Die ganze Atmosphäre des nächtlichen Krankenhauses war beruhigend und sanft. Und ganz besonders. Quasi ein mentaler Ausnahmezustand. Ich kann es noch so gut fühlen, aber in Gedanken ist es schon weit weg. Der menschliche Körper schüttet bei starken Schmerzen körpereigene Endorphine, also Schmerzmittel, aus, die sich auch auf das Bewusstsein auswirken. Irgendwie fühlte ich mich ein wenig high. 


So eine Stunde zieht sich einerseits, aber andrerseits ist sie im Nachhinein betrachtet, ruckzuck vorbei. Und man spürt, dass man dem eigentlichen Kern der Sache mit jeder Wehe ein Stück näher kommt. Wie dieser Kern aussieht, wußte ich da auch noch nicht. Um Viertel nach fünf gabs die nächste Untersuchung. 7-8 cm.


Das Kreisssaalfenster war offen. Kühle Morgenluft wehte herein. Es war noch dämmrig, doch die Amseln begannen zu zwitschern. Das war ein Moment, den ich wohl nie vergessen werde. Diese Ruhe und Kraft der Natur, die in diesem Augenblick auf mich wirkte, möchte ich in meinem Herzen festhalten. 


Ich hatte jetzt die freie Auswahl zwischen einem weiteren Spaziergang, einem Einlauf (herzlichen Dank), einem Bett und einem heissen Bad. So n heisses Bad käme schon gut. Vorher bekam ich noch ein entspannendes Zäpfchen und ab gings in die Wanne. Die Hebamme bot uns an, das Radio mitzunehmen, und so genossen wir Pop & Weck auf hr3. Thorsten legte sich auf die äußerst praktische Liege im badezimmer und nahm eine Mütze Schlaf. Wir waren jetzt immerhin 24 Stunden wach. Das warme Wasser regte die Wehen an und so ging es in meiner Wann recht bald ziemlich rund. Ich atmete und schniefte und schnaufte. Ich möchte nicht wissen, wieviele Liter Luft ich in dieser Nacht durch die Gegend geatmet habe. Inzwischen spürte ich die Wehen nicht nehr so sehr im Bauch sondern als dumpfe tritte im unteren Rücken. Trotzdem war es mir möglich, in den Wehenpausen ein wenig zu schlafen und völlig zu entspannen. Nicht an die nächste Wehe denken, denn das macht Angst und verkrampft. Einfach kommen lassen. 


Nach etwa eineinhalb Stunden entschloss ich mich, die Wanne zu verlassen. Ich zog mir ein T-Shirt und ein paar Socken an und wir gingen wieder in der Kreisssaal. Tastbefund der Hebamme: 9-10 cm, Fruchtblase aber immer noch nicht geplatzt. "Dann machen wir sie eben auf!" sagte sie, holte dicke Zellstoffunterlagen und ein langes spitzes Instrument. Ich bekam das grosse Zittern. "Keine Panik, das tut nicht weh!" Wer's glaubt, dachte ich mir, machte aber dann doch die Beine breit. Es tat in der Tat nicht weh, aber das Gefühl, wenn da unten unkontrollierbar Wasser rausläuft, ist schon gar seltsam. Und dann ging's richtig los. Thorsten sass neben mir. Die Hebamme hatte mich bereits auf die Seite gelegt, damit das Köpfchen sich besser in den Beckeneingang hineindrehen konnte, und war wieder gegangen. Die Wehen kamen jetzt kurz hintereinander und ziemlich heftig. Thorsten erinnerte mich immer wieder, durch die Nase zu atmen, aber ich kriegte es irgendwie nicht so auf die Reihe. Ich schnaufte und stöhnte und schnappte nach Luft. 


Und plötzlich war da eine Wehe, die anders war als alle vorherigen. Die erste Presswehe. Keiner konnte mir das gefühl vorher beschreiben und ich kann es wohl auch nur unzureichend. Ich bekam es mächtig mit der Angst und liess in dem Moment meinen ersten unterdrückten Schrei los. Ich fühlte einen wahnsinnigen Krampf im gesamten Beckenbereich, musste einfach mitdrücken und konnte nicht mehr aufhören. Mein Körper machte was wr wollte und was richtig war. Mein Wille war völlig ausgeschaltet, meine Gedanken total weg. Ich fühlte nach dieser ersten Presswehe riesigen Durst. Thorsten gab mir einen nassen Waschlappen zum Aussaugen und wischte mir die Stirn ab. Inzwischen war die Hebamme samt einer Ärztin im Kreisssaal eingetroffen. "So, dann wollen wir mal!" Sie schaltete die Wärmelampe über dem Wickeltisch ein. Land in Sicht!


Die Hebamme stand rechts und die Ärztin links vom Bett. Ich sollte mich jetzt auf den Rücken drehen, mich halb aufrecht hinsetzen und konnte meine Beine gegen die Hüften der beiden stemmen. Thorsten hielt meine Hand und so erwarteten wir die nächste Wehe, die nicht lange auf sich warten liess. Ich war völlig weggetreten, machte nurnoch mechanisch, was man mir sagte. Und Luft holen und Kopf auf die Brust und schieben, und austamen, und noch mal Luft holen und feste feste pressen. Und nochmal...! Ich hatte kein Gefühl dafür, ob sich da unten was tat oder nicht. Ob ich in die richtige Richtung presste oder ob ich schon geplatzte Äderchen in den Augen hatte (hatte ich übrigens nicht, wie sich später herausstellte). Dafür hatte ich einen zünftigen Krampf im linken Oberschenkel. Ich weiss nicht, ob mein Körper schon jemals so eine Kraft entwickelt hatte. Die Ärztin massierte mein Bein in der Wehenpause, die recht kurz war. So was um 30 Sekunden. Und weiter gings. Luftholen und pressen. Nach der dritten Presswehe erkundigte ich mich vorsichtig, ob sich denn überhaupt was bewegt. "Na klar, ich kann das Köpfchen schon sehen. Ganz dunkle Haare. Wollen Sie einen Spiegel oder mal fühlen?" Das hab ich aber dankend abgelehnt, denn die nächste Wehe war schon im Anmarsch. Jetzt kippte mir die Hebamme einen Schwall Öl über den Damm, damit der elastisch würde, aber die Ärztin war wohl der Ansicht, dass da eine große Schere bessere Dienste täte. Die beiden sahen sich an und auf dem Höhepunkt der Wehe gab es ein seltsam schnippelndes Geräusch. Ich spürte den Schnitt nicht, bekam es aber dennoch mit. Na egal. Das Blut lief und ich hoffte inständig, dass es jetzt bald vorbei wäre. In meinem Bauch war mächtig was los. Jasmin strampelte, die Beine noch in der Gebärmutter, und versuchte sich abzudrücken. Ihre Herzfrequenz war bei 180 pro Minute und sie hatte einem ganz schönen Druck von etwa einem Zentner standzuhalten. "So, jetzt noch mal kräftig, dann haben Sie es geschafft!" hörte ich die Hebamme sagen. Na gut. Die fünfte und letzte Presswehe kam und beim ersten Drücken kam zuerst der Kopf und gleich darauf die restliche Jasmin haus mir herausgeschlüpft. Was für ein Gefühl!


7.40 Uhr.
Die Hebamme klemmte die Nabelschnur ab und gab Thorsten die Schere zum Durchschneiden. Schnipp! Das wars, kleine Maus, jetzt lebst Du selber. Ich hörte einen noch etwas verhaltenen Schrei, dann bekam ich sie in ein Handtuch gewickelt auf den Bauch gelegt. Unbeschreiblich. Die Hebamme gab mir eine Spritze in den Oberarm, damit sich die Gebärmutter schneller zusammenziehen würde, die Ärztin betäubte meinen Damm, nähte ihn und ich hatte nur Augen für Jasmin. Thorsten weinte und wir umarmten uns. Alle drei. Ich war zu keiner Gefühlsregung fähig, war einfach ausgepumpt und leer. Mein Bauch war seltsam weich und zusammengefallen. Jasmin blinzelte in die Welt und quäkte ein wenig vor sich hin. 




"Sie können duschen gehen!" hörte ich die Ärztin plötzlich sagen und hatte kaum etwas mitbekommen. Thorsten nahm mir die Kleine ab und brachte sie zum Wickeltisch. 3170 g, 53 cm und 32 cm Kopfumfang. 
Ich stand auf, noch wacklig in den Knien und ein paar Kilo leichter, so ohne Bauch, also äußerst komisch. Ich nahm meine Sachen und duschte im Rekordtempo. Welch ein seltsames Gefühl, so alleine und leer. Ich sah zu, dass ich wieder zu meiner Familie kam. Thorsten war bereits dabei, Jasmin anzuziehen. Als sie fertig war durft sie zuerst an meine Brust. Na, das klappte noch nicht so besonders, aber wir mussten es eben beide noch lernen. Sie schien trotzdem recht zufrieden zu sein und kuschelte sich in meine Arme.




Ich hatte plötzlich mächtigen Hunger und vor allem Durst. Thorsten organisierte mir ein Frühstückstablett und ich genoss ein Marmeladenbrötchen mit einer Tasse Kaffee. Guuut! Und das wars eigentlich! Wir packten Jasmin warm ein, verabschiedeten uns von der Hebamme, die nun auch endlich Feierabend hatte, und verliessen durch dieselben Gänge, die wir nachts mehrfach durchwandelt hatten, das nun belebte Krankenhaus. Es hatte aufgehört zu regnen und die Sonne schien!






geschrieben in der Woche nach dem 5.5.94 mit vielen Freudentränen, die einfach raus mussten






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